Edenwood – Ein vielversprechendes, aber ambivalentes Comic-Epos zwischen Genrebruch und Erzählüberlastung - Der Comixdealer

Edenwood – Ein vielversprechendes, aber ambivalentes Comic-Epos zwischen Genrebruch und Erzählüberlastung

Zusammenfassung

Tony Daniels Edenwood (Cross Cult, 2025) ist ein Comic, der ambitioniert Genre-Grenzen sprengen will: Horror, Science-Fiction und Fantasy prallen hier aufeinander, garniert mit düsteren Dämonenschlachten und einer Coming-of-Age-Story. Doch während die visuelle Pracht und die Ideenvielfalt beeindrucken, leidet die Erzählung unter einem überladenen Plot und oberflächlichen Charakteren. Ein Werk mit Höhenflügen – und Abstürzen.


Handlung: Multidimensionaler Ansatz, aber dünne Tiefe

Der Teenager Rion Astor betritt auf der Suche nach seiner Freundin das Reich Edenwood, eine dämonische Kriegszone zwischen Hexen und Höllenwesen. Die Prämisse klingt nach einem Mix aus Stranger Things und Berserk, doch die Umsetzung bleibt fragmentarisch. Zwar sprüht die Welt vor Kreativität (multidimensionale Portale, albtraumhafte Dämonen-Designs), doch die Regeln des Universums werden kaum erklärt. Warum wird gerade Rion zum auserwählten „Dämonenkiller“? Welche Motivation treibt die Dämonenkönige an? Hier fehlt es an mythologischer Tiefe, stattdessen dominieren Actionszenen.
Stärken: Temporeiche Schlachten, originelle Monster-Designs.
Schwächen: Plotlöcher, mangelnde Weltbuilding-Entfaltung.


Charaktere: Heldenhaft, aber blass

Rions Entwicklung vom ängstlichen Teenager zum Anführer wirkt gehetzt. Innerhalb weniger Seiten akzeptiert er seine Rolle, ohne innere Konflikte oder Zweifel – ein klassischer „Chosen One“-Tropus ohne Überraschungen. Die Nebencharaktere (Hexen, Mitstreiter) bleiben Staffage, ihre Backstories werden nur angerissen. Schade, denn das Potenzial für komplexe Dynamiken (z. B. Hexen als zwielichtige Verbündete) bleibt ungenutzt.
Stärken: Rions visuell markantes Design, eine charismatische Antagonistin (hier: eine Dämonenkönigin).
Schwächen: Flache Dialoge, fehlende emotionale Resonanz.


Kunst: Atemberaubend, aber chaotisch

Tony Daniels zeichnet Edenwood mit der Präzision eines Action-Auteurs: Dämonen zerbersten in surrealen Formen, Blut fontänenartig in Neonrot, Landschaften wirken wie Gemälde von Hieronymus Bosch. Doch die Ästhetik hat einen Preis: In Actionszenen verlieren sich Leser:innen im Gewirr aus Linien und Splatter-Effekten. Panels wirken überladen, Schlüsselmomente (z. B. Rions erste Begegnung mit Edenwood) hätten durch reduzierte Komposition mehr Kraft entfaltet.
Stärken: Farbpalette (düsteres Grün vs. grelles Pink), Detailverliebtheit bei Monster-Designs.
Schwächen: Unübersichtliche Kämpfe, inkonsistente Perspektiven.


Themen: Ambitioniert, aber unausgegoren

Edenwood will mehr sein als reine Action: Es thematisiert Überlebenstrauma, den Verlust von Unschuld und die Frage, was „Heldentum“ in einer korrupten Welt bedeutet. Doch diese Ideen verpuffen im Getöse der Schlachten. Rions Beziehung zur vermissten Freundin dient nur als Plotdevice, statt emotionale Tiefe zu schaffen. Auch der Krieg zwischen Hexen und Dämonen bleibt undurchsichtig – ein Konflikt ohne historische oder philosophische Dimension.
Stärken: Ansätze zu existenziellem Horror (Edenwood als Spiegel menschlicher Abgründe).
Schwächen: Thematische Oberflächlichkeit, verpasste Symbolik.


Pacing: Rasantes Tempo, aber holprige Übergänge

Mit 128 Seiten ist Edenwood ein kurzer Comic, was sich im gehetzten Erzähltempo niederschlägt. Rions Training zum Dämonenkiller wird in Montagen abgehandelt, Teamaufbau und Weltregeln in Infodumps gepresst. Der letzte Akt fühlt sich an wie der Auftakt zu einem größeren Epos – doch als eigenständiger Band hinterlässt er ein Gefühl der Unvollständigkeit.
Stärken: Kein Leerlauf, ständige Spannungssteigerung.
Schwächen: Fehlende Atempausen, abruptes Ende.


Vergleiche & Zielgruppe

  • Fans von NOCTERRA werden Daniels Ästhetik lieben, aber die dünnere Story vermissen.

  • Leser:innen von Hellboy könnten enttäuscht sein – hier fehlt der Humor und die mythologische Tiefe.

  • Anhänger:innen reiner Action-Comics (z. B. Berserk-Dark Fantasy) werden die visuelle Intensität schätzen.


Fazit: Ein Comic mit zwei Gesichtern

Edenwood ist wie sein titelgebendes Reich: faszinierend wild, aber unberechenbar. Tony Daniels Kunst ist ein Fest für die Augen, und die Idee eines multidimensionalen Horror-Fantasy-Kriegs hat Potenzial. Doch die Erzählung bleibt ein Rohdiamant – geschliffen an der Oberfläche, aber ohne funkelnde Tiefe. Wer Action ohne Anspruch auf Storytiefe sucht, wird bedient. Für komplexe Mythologien und Charakterentwicklungen muss man woanders suchen.

Bewertung: 3/5 ⭐️ – Ein visuell beeindruckender, narrativ überforderter Comic, der hoffentlich in Fortsetzungen reift.


Empfohlen für:

  • Tony-Daniel-Fans, die seine Kunst feiern.

  • Leser:innen, die Actionspektakel über Plot-Tiefe stellen.

  • Sammler:innen düsterer Fantasy-Horror-Comics.

Nicht empfohlen für:

  • Fans von Character-Driven Stories.

  • Menschen, die klare Weltregeln und politische Intrigen lieben.


Hinweis: Diese Kritik basiert auf einer Vorab-Ansicht des Comics. Cross Cult plant möglicherweise weitere Bände, die Narrative-Lücken schließen könnten.

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